Drei Jahre nach der noch gut in Erinnerung gebliebenen Reise nach Brasilien trafen sich 30 Teilnehmer in Düsseldorf am Flughafen, um sich via Frankfurt auf die Reise nach Shanghai zu machen. Den Besuch im Land der aufgehenden Sonne hatte vor Ort unser Kontaktmann Cao Xiao Quing organisiert, der nach seinem Musikstudium in Hannover eine Professur an der Hochschule in Tianjin innehat
Die meisten hatten sich bereits im Vorfeld bei Chinareisenden sowie mittels Reiseführern schlau gemacht und man wartete mit Spannung auf die ersten Eindrücke nach langem Flug und 6 Stunden Zeitverschiebung. Der neue Flughafen Pudong außerhalb der Stadt präsentierte sich sehr „westlich“. Doch spätestens bei Verlassen des Ankunftsbereiches zeigte sich der Wandel: überall chinesische Schriftzeichen und Menschen, die sich allein durch ihre Körpergröße von uns unterschieden.
Als „Reiseführerin“ begrüßte uns Ling, die uns die nächsten vier Tage begleiten und dolmetschen sollte. Dankbar dafür, nun nicht nur mit Englisch oder Händen und Füßen kommunizieren zu müssen, amüsierten uns doch ihre Erklärungen im Bus, die durch zuviel Hall klangen wie eine im Kölner Dom verlesene, ins Deutsche übersetzte asiatische Bedienungsanleitung.
Entlang der Transrapid-Strecke führt die Flughafen-Autobahn durch den gigantischen Hafen hinein in die Stadt, die nur aus Hochhäusern zu bestehen scheint, so weit das Auge reicht. Unser Hotel hatte 26 Stockwerke und nicht wenige spürten die erdbebensichere Bauweise am eigenen Körper. Am Mittag gab es das erste Mal chinesisches Essen, wie auch auf dem Rest der Reise an 10-Personen-Tischen. A-la-carte Essen gab es auf unserer Reise nicht, so wissen wir bis heute nicht, ob wir vielleicht etwas verpasst haben oder uns viele Tierarten auf dem Teller erspart blieben. Viel Vegetarisches, Fleischgerichte als „Ratespiel“ und Suppe zum Nachtisch, schließlich ein gewöhnungsbedürftiges Frühstücksbüfett, zehrten mit Verlauf der Reise an mancher Magen-Darm-Verfassung.
Shanghai wird bei Nacht erst richtig schön, denn dann wetteifern die Hochhäuser mit den spektakulärsten Beleuchtungen. Beim Rundgang durch die Stadt waren auf einmal wir die Ausländer, unsere blonden Frauen Blickfang.
Als Abenteuer erwies sich der Straßenverkehr, der mit wenigen Ampeln seinen eigenen Regeln zu folgen schien. Da erinnerte das Überqueren einer sechsspurigen Straße mit zusätzlich 2 Zweiradspuren an alte Computerspiele.
Das erste authentische China präsentierte sich uns im Fischerdorf Zhou Zhuang: Pagoden-Dächer, Tempel, Garküchen und Einblicke in alte Wohn- und Lebensverhältnisse.
Im schönen Konzertsaal der Shanghaier Musikhochschule sollte unser erstes Konzert stattfinden. Alle Instrumente hatten den Flug gut überstanden. Doch zollten die Reisestrapazen und die Umstellung auf Leihinstrumente (Dank an die Firma HOHNER!) ihren Tribut. Die Dirigenten ordneten Stimmproben an, die dann abends zum Leidwesen der anderen Hotelgäste teilweise zu zwölft auf den Zimmern stattfanden. Vorher hieß es noch „China pur“, Besichtigung der Shanghaier Altstadt mit Teezeremonie im Huxinting Pavillon, die auch schon Kanzler Schröder genießen durfte.
Auf der Musikmesse präsentierten wir uns das erste Mal in den neuen bordeauxroten LJAO-Polohemden. Der Schwerpunkt der Messe lag eindeutig bei asiatischen Instrumenten, für uns nur umso interessanter, denn in Frankfurt wird man sicher Schlangenhäute als Fellbespannung vermissen.
Das Konzert fand großen Anklang beim Publikum, Fernsehen und Radio übertrugen live und unsere Dirigenten mußten sich Interviews stellen. Viele Musikschüler und -studenten waren gekommen und um Autogrammwünsche nicht verlegen.
Die Anforderungen an die Flexibilität in organisatorischen und geschäftlichen Dingen in China machten uns zuweilen zu schaffen. So wurde die Tagesplanung öfters kurzfristig umgeworfen, es änderte sich die Abflugzeit für den Weiterflug nach Tianjin und der Instrumententransport war plötzlich nicht mehr sichergestellt. Zuletzt stellte uns die örtliche Organisation doch noch einen Kleinbus, der die Instrumente über Nacht die 1.800 km nach Tianjin fuhr.
Tianjin, Hafenstadt Nordchinas und mit 4,5 Mio. Einwohnern auch nicht gerade klein, sollte für weitere vier Tage unser Domizil werden. Weitläufiger und ländlicher, weniger Hochhäuser, dafür mehr Hutongs, die alte Wohnhöfe: eine angenehme Abwechslung nach dem Moloch Shanghai.
Frau Chen, teilweise in Vertretung von Cao, begleitete uns den Rest unserer Reise. Schon auf dem Transfer zum Hotel bewies sie ihre Professionalität durch ihre Erläuterungen zur Stadtgeschichte. Nicht ohne Witz wies sie uns in die chinesische Sprache ein, erklärte wichtige Symbole und wie man in China mit fünf Fingern bis zehn zählt. Nach dem Besuch eines Heimatmuseums, einer alten Pekingoper sowie eines Kunsthandwerkermarktes führte uns unser Gastgeber in Tianjin, Herr Professor Zhu, durch seine Musikschule. Die Leistungen schon der jüngsten Schüler überraschten uns, ließen aber auch einen faden Beigeschmack aufkommen, konnten wir uns doch schon in den vergangenen Tagen vom Drill der Schüler z.B. beim Exerzieren auf dem Schulhof überzeugen. Neben dem Akkordeon, dass wohl doch in China verbreiteter ist als wir bisher annahmen, hörten wir Schüler mit einheimischen Instrumenten, deren Klang für unser Ohr gewöhnungsbedürftig war. Ein bekanntes Gesicht entdeckten wir auf einem Plakat in der Musikschule: zwischen lauter chin. Schriftzeichen lächelte unser Dirigent Herr Nolte dem Betrachter entgegen: unsere Konzertankündigung.
Kleine Gruppen machten sich in der knappen Freizeit auf, Land und Leute zu erkunden. Zwischen der Hektik des Alltages singen, tanzen und musizieren Rentner in den Parks, malen chin. Weisheiten auf den Boden oder verkaufen kleine Schildkröten (Glücksbringer, setzt man sie aus). Nur der Besuch eines Wochenmarktes schlug einigen auf den Magen, sind doch die hygienischen Verhältnisse nicht mit unseren vergleichbar. Überhaupt gehörte das Kapitel „Toiletten“ zu den unangenehmsten unserer Reise.
Das nächste Konzert fand in der Mittelschule für Musik statt. Nach der Anspielprobe zeigten uns die Mittelschüler ihr Können mit beeindruckender Fingerfertigkeit. In einem Workshop unter Leitung von Helmut Quakernack zeigten sich die Schüler interessiert an der deutschen und europäischen Akkordeon-Szene. Auch unsere Fragen trugen zum Verständnis der uns unbekannten Ausbildungsstruktur in China bei.
Die längeren Transferzeiten im Bus wurden verkürzt mit Erklärungen u.a. zur Familien- und Schulpolitik, denn der Blick auf die Straße und in die Schulklassen hatte viele Fragen aufgeworfen.
Vor dem Auftritt in der Universität von Tianjin fuhren wir noch in ein Kung-Fu-Internat. Hier lernen Kinder neben dem Unterricht noch die alte Kampftechnik, die hauptsächlich der eigenen Stärke und Gesundheit dienen soll. Herr Zhus Mitarbeiter überreichten uns erste Zeitungsartikel unseres Gastspieles vor Ort und gleich eine CD des Konzertes mit Cover, über Nacht produziert.
Wieder war das Fernsehen präsent, als unsere Organisatorin Isolde Alka publikumswirksam eine Absichtserklärung über die künftige Zusammenarbeit zwischen der Musikschule Tianjin und dem DHV unterzeichnete. Nach dem Austausch von Gastgeschenken hieß es dann Abschied nehmen und Koffer packen.
Mit dem Bus ging es weiter nach Peking, dem letzten Ziel unserer Reise. Auf dem Weg besichtigten wir noch eine Druckerei für traditionelle Kunst, wo uns die mittelalterlichen Arbeitsmethoden und -bedingungen überraschten, bot das Land nach den bisherigen Eindrücken doch jede Menge „Hightech“, die mehr Fortschritt erwarten ließen. Anschließend ging es noch weiter in eine Manufaktur für Ton- und Wachsfiguren. Leider ließ die Gewichtsbeschränkung unseres Reisegepäcks wenig Spielraum für gewichtige Souvenirs.
Beijing, wie die Hauptstadt Chinas eigentlich heißt und 2008 Olympiastadt sein wird, begrüßte uns mit dem aus Shanghai bekannten Trubel. Wir genossen zunächst eine Artistik-Show mit den aus dem chinesischen Zirkus bekannten Akrobatik-Nummern, bevor wir im Freundschafts-Hotel etwas außerhalb des Zentrums eincheckten.
Am folgenden Tag ging es zu einem der Höhepunkte unserer Reise, der weltbekannten Großen Mauer Chinas. Dass die körperliche Kondition von Akkordeonisten zuweilen ihre Grenzen hat, zeigte sich auf dem sehr anstrengenden Mauerparcours bis zum Berggipfel. Der Fernblick und die schöne klare Luft abseits der Stadt entschädigten alle für den Weg.
Auch die nicht weniger bekannten Ming-Gräber waren unser Ziel.
Das ungewohnte und stets chinesische Essen hatte inzwischen bei einigen Mitreisenden für Magen-Darm-Probleme gesorgt und wir hofften, den Rest der Reise noch gut zu überstehen, zumal noch mehrere Konzerte anstanden.
Unser konzertantes Programm beanspruchte das Pekinger Publikum wohl mehr als vermutet, so dass wir auf dem ersten Konzert in der Pause das Programm kurzfristig änderten. Unsere extra einstudierten chinesischen Stücke hingegen kamen sehr gut an.
Peking ohne Besuch der verbotenen Stadt wäre nicht denkbar gewesen, daher reihten wir uns in die Heerscharen von Touristen ein und erhielten Einblick in die Zeit der Ming-Kaiser. Beeindruckend waren auch die Ausmaße des Platzes und der Straße des himmlischen Friedens, die einem höchstens aus den Partei-Aufmärschen im Fernsehen bekannt waren.
Leider war es etwas diesig, als wir einen Abstecher zum Sommerpalast, dem größten künstlichen Park Chinas, machten. Auch hier trafen wir auf viele Ältere, die sich mit anderen die Zeit mit Gesang, Tanz und Spiel vertrieben. Beeindruckend waren die vielen restaurierten Gemälde an den Wandelgängen und Tempeln und ein großes Schiff aus Marmor.
Unser letzter Auftritt stand ganz im Zeichen der Jugendbegegnung und fand statt im Kinderpalast des Kaisers, baulich ähnlich den Palästen in der verbotenen Stadt. Leider sparen die Chinesen zuweilen an Heizkosten, aber die kalten Finger minderten nicht die Spielfreude auf chinesischer und unserer Seite. Zwei einheimische Akkordeon-Orchester und Solisten zeigten uns ihr Können, spielten oft auswendig und uns zu Ehren teils westliche Literatur wie die West Side Story oder die Münchener Rhapsodie. Ein gemeinsames, kurzfristig verteiltes Stück und das obligatorische Gruppenfoto sowie viele interessierte Gespräche der Spieler aller Gruppen am Rande (man kennt in China weder Bässe noch Elektronien) beendeten unser Gastspiel.
Der Abend bot noch Raum für geselliges Beisammensein bei Musik und Tanz.
Am vorletzten Tag der Reise stand noch die Besichtigung des Himmelspalastes an. Großzügig angelegt, spiegelte er den auch aus anderen Ländern bekannten „Größenwahn“ religiösen Glaubens wider, in denen sich der Machthaber gerne in den Mittelpunkt stellte.
Nach dem Kofferpacken und einem hervorragenden Abschiedsessen im Stammlokal der deutschen Botschaft in Peking lud uns Cao Xiao Quing noch ein in eine der ersten Bars mit Livemusik und später Sperrstunde in Peking, Zeichen der Kulturrevolution, die sicher noch nicht beendet ist. Viele einheimische Akkordeonisten ließen sich von der rheinischen Fröhlichkeit unserer Spielerinnen und Spieler anstecken. Der Abend endete mit rasanten Taxifahrten ins Hotel zurück.
Nach Beladen des Busses und unseres Frachtcontainers ging es zur letzten Besichtigungstour auf einen Trödel- und Wochenmarkt und schließlich zum Lama-Tempel, der auch heute noch in Betrieb ist. Riesige Buddha-Statuen beeindruckten, nur der reichliche Weihrauchgeruch war nicht jedermanns Sache.
Wegen den Luftverhältnissen dauerte der Rückflug fast drei Stunden länger als der Hinflug, und nach einem kurzen Aufenthalt in München nahmen uns unsere Angehörigen am 1. November wieder glücklich in die Arme.
Das LJAO NRW dankt allen Organisatoren und Institutionen, die mit ihrer Tatkraft und Geldmitteln die Reise ermöglicht haben. Ohne diese Leistung wäre ein solches Programm in dieser Qualität nicht möglich gewesen. Jeder für sich hat Einblick in eine völlig fremde Kultur gewonnen, mancher hat jetzt schon angekündigt, das Land noch einmal besuchen zu wollen.
Abschließend in Stichworten Eindrücke aus vierzehn Tagen China:
China ist weit auf dem Weg, aber noch nicht angekommen, Europäer und chinesische Toiletten passen nicht zueinander, das Essen schmeckt mitunter „interessant“, die vielen Bettler und Straßenhändler nerven, Volkssport: Spucken, Schneuzen, Hupen, Lächeln, Luft- und Wasserqualität bedenklich. Aber auch: Gastfreundschaft, großes Interesse an uns und unserer Musik, Wille zum Fortschritt, mit Fleiß bei der Arbeit, Achtung der Kultur und des Glaubens, Ausgeglichenheit, Fröhlichkeit und in mancher Hinsicht auch ein Beispiel für uns.
Thomas Jockisch
„China-Nachlese“
Zu einer „China-Nachlese“ hat Isolde Alka das LJAO NRW zu sich nach Hause eingeladen. Fast alle Spieler sind gekommen, brachten neben viel guter Laune auch Zutaten für das leibliche Wohl mit. Eine Bildershow der Reise präsentierte Thomas Ahrendt, Organisator des LJAO und hauptberuflicher Meisterfotograf. Als besonderen Gast durften wir Herrn Matthias Pannes, Generalsekretär des Landesmusikrats begrüßen, der es sich nicht nehmen ließ, bei der Bekanntgabe der Planung für 2005 dabei zu sein. Helmut Quakernack wird im kommenden Jahr das LJAO als 1. Dirigent leiten. Herbert Nolte, bisheriger musikalischer Leiter wird aber auch noch weiterhin mit Rat und Tat dem LJAO die Treue halten. An dieser Stelle und mit einer Abendveranstaltung in der Akademie Remscheid möchten alle Spieler des LJAO Herbert Nolte für seinen langjährigen unermüdlichen musikalischen und auch organisatorischen Einsatz für das LandesJugendAkkordeonOrchesters NRW danken.
Isolde Alka